Kolumne.jpg
 

Männer LOL

Patriarchat vice versa und alles ist anders? Diese wöchentliche Kolumne ist ein Gedankenspiel, das sich auf der dünnen Linie zwischen Normalität und Absurdität bewegt. Die hier beschriebenen Geschehnisse sind frei erfunden. Eventuelle Ähnlichkeiten zur Realität wären zufällig und unbeabsichtigt.

Lesen auf eigene Gefahr!


Woche 01 – Partnerschaft

Wir haben ein Sprichwort, das geht so: „Männer!“ Beim Aussprechen lachen wir gutmütig und schütteln den Kopf.

Wenn ich aufwache, ist die andere Bettseite leer. Es gibt keine andere Bettseite. Meine bessere Hälfte, mein „Juwel“ hat sein eigenes Zimmer, wir schlafen getrennt. Zwei Türen schützen mich vor schlaflosen Nächten. Wenn ich aufstehe, steht er meistens schon eine Weile in der Küche, frisch geduscht, die Haare, noch feucht, das Kinn ohne einen einzigen Stoppel. So mag ich ihn am liebsten: Glatt, gut duftend und rosige Wangen. Er kommt mir entgegen und schlingt seine Arme um mich. Für eine Weile gebe ich mich seinen Armen hin, dann reicht es mir und ich bitte ihn, aufzuhören. Den Ring an seiner rechten Hand habe ich letzte Woche gekauft, nachdem ich sah, wie ihn einige meiner Kolleginnen quasi mit ihren Blicken verschlangen. Er ist ein schöner Mann. Gut gepflegt, zurückhaltend, aufmerksam, häuslich, genügsam, in allem eher durchschnittlich. Er tut mir gut. Mit dem Ring habe ich ihm und allen anderen klar gemacht, dass er zu mir gehört – dick und fett ist mein Name eingraviert. Mit Tränen in den Augen hat er mich angeblinzelt und mit zitternder Stimme gesagt, er sei der glücklichste Mann der Welt, ich mache ihn so unendlich glücklich, er liebe es, an meiner Seite sein zu dürfen. Ob ich schon überlegt hätte, wann die Eheschließung stattfinde? 

„Männer“, sagte ich in die Runde, als wir zwei Tage später mit Freundinnen zusammensaßen und er stolz seinen Ring präsentierte „denken immer sofort ans Heiraten. Bevor ich überhaupt an Hochzeit denken kann, habe ich noch so viel wichtigere Dinge zu tun.“ Meine Freundinnen haben verständnisvoll das Glas gehoben, mein „Juwel“ ist beleidigt aus dem Raum gestürmt. „Er wird sich schon wieder einkriegen. Er ist etwas empfindlich heute, wegen des Haaransatzes.“ Alle lachen. „Vielleicht bekommt er, anstelle einer Hochzeit, lieber eine Haarimplantation.“

Auf dem Heimweg hat er lang geschwiegen und als er eine dunkle Raststelle sah, lenkte er das Auto – er fuhr, weil ich zu viel getrunken hatte –  nach rechts und bremste ab. In dem Wissen um das kommende Gespräch bat ich ihn, kurz zu warten bis ich pinkeln gewesen war. Ich hockte mich über das Loch im Boden der Toilettenkabine und stellte fest, dass meine Menstruationsblutung eingesetzt hatte. Ich hatte mir die letzten 3 Tage frei genommen – während der prämenstruellen Phase war Arbeit das Letzte, an das ich denken konnte – de facto wusste ich also eigentlich, dass heute der erste Tag meiner Periode war, und doch kam es immer noch vor, dass ich überrascht wurde. Da sich mein Cup in der Handtasche und die Handtasche auf dem Beifahrersitz im Auto befand, wählte ich aus dem Automaten rechts von mir, „Tampon in normaler Größe“, führte diesen ein, zog die Spülung und verließ die Toilette. Mit dem Satz „ich habe gerade meine Menstruation bekommen“ war unser Gespräch beendet, bevor es überhaupt begonnen hatte. Sein Blick wurde erst sanft, dann verzehrend und schließlich bat er mich, schnell einzusteigen. Plötzlich hatte er es unglaublich eilig nach hause zu kommen. Am ersten Abend meiner Periode, wenn ich kein Bedürfnis nach Penetration verspüre, befriedigt er mich oral. Nach dem Orgasmus schlief ich ein. Wir haben die Abmachung, dass er in seinem Bett schläft, wenn ich nichts anderes gesagt habe. Es gibt durchaus auch Nächte, in denen ich möchte, dass er neben mir schläft.  

Jetzt steht der Kaffee auf dem Tisch und frische Blumen, die er nach seiner morgendlichen Joggingrunde unten an der Ecke für mich gekauft hat. Wie zufällig liegt außerdem ein Stapel Dokumente auf dem Tisch. Aus den Augenwinkeln beobachtet er, wie ich sie zu mir ziehe, um sie genauer zu betrachten. Was es heißt, Vater zu werden – Fortbildung für den modernen Mann. Auf mein ungläubiges Lachen reagiert er mit einem beleidigten „Was?“ Ich weiß, dass es sein größter Wunsch ist, eine Familie zu gründen, Verantwortung für „so ein kleines Baby“ zu übernehmen. Er wünscht sich so sehr eine Mini-Version von mir, dass ich ihn frage, ob ich ihm nicht reiche. Das sei nicht der Punkt, aber während ich durch meine Arbeit sowohl kreativ wie auch intellektuell Befriedigung erlebe, erfülle ihn seine halbe Stelle und die Hausarbeit einfach nicht zu hundert Prozent. Für ein Kind oder zwei, würde er seinen Job an den Nagel hängen und seinen Lebensmittelpunkt ganz auf die Familie verlagern. Natürlich wisse er, dass eine Schwangerschaft sich vor allem auf mich auswirke, aber er hätte sich schon erkundigt und mittlerweile gäbe es zahlreiche Alternativen: Den Uterus für den Mann oder die direkte Emotionsbrücke von Frau zu Mann, die dem Mann ein simultanes Erleben jeglicher weiblicher Gefühlsregungen erlaubt. (Wissenschaftlerinnen haben herausgefunden, dass durch diese Brücke die Bindung zwischen Vater und Kind der Mutter-Kind-Beziehung in nichts mehr nachsteht.) Während er gar nicht mehr aufhört, seine Argumente im Detail zu erläutern, wandern meine Gedanken zu meiner Freundin Mai. Mai hat vier Kinder von drei Partnern. Nachdem sie das erste Kind, damals noch gemeinsam mit einer guten Freundin, adoptierte, wurde sie mit dem zweiten ungeplant schwanger. Beim Sex mit ihrer damaligen Liaison war der Schalter des Samenleiterventils (SLV), im Eifer des Gefechts, unbemerkt umgeschaltet worden. Als ihre Regelblutung daraufhin ausblieb und der Schwangerschaftstest in ihren Händen ihre Vermutung bestätigte, schaltete sich der biologische Vater des Kindes über die Emotionsbrücke ein. Binnen zwei Tagen war klar, dass sie das Kind gemeinsam bekommen würden. Die Schwangerschaft ließ sich gut in ihren Arbeitsalltag integrieren und sie konnte sich sicher sein, dass er sich emotional wie auch finanziell um das Kind kümmern würde. Wann immer sie Schmerzen, geschwollene Füße oder dünne Nerven hatte, wusste er genau, was sie brauchte. Er nahm 9 Monate Schwangerschaftspause, in denen er den Haushalt schmiss, Essen kochte, sie zur Arbeit brachte, wieder abholte und alles für das Kind vorbereitete. In der Schule, in Erste-Hilfe-Kursen und zuletzt im Vorbereitungskurs hatten sie mehreren Geburten live beigewohnt, sogar mitgeholfen und trotzdem war die eigene Geburt für beide unglaublich kräftezehrend und schmerzhaft gewesen. Während der ganzen Zeit hatte er kein einziges Mal den Raum verlassen, der Hebamme zugearbeitet und schließlich das Kind in seinen Armen gehalten. Für die ersten paar Monate wohnten sie noch zusammen bei ihr, dann zog er mit dem Kind eine Straße weiter und sie ging wieder arbeiten. Kind drei und vier sind Zwillinge, die ihr schwuler Freund und heutiger Mitbewohner mit in ihr Leben brachte. 

„Du hörst mir gar nicht zu“, sagt er und schaut mich grimmig an. Ich drücke ihm einen Kuss auf die Wange, versichere ihm, dass ich darüber nachdenke, aber jetzt zur Arbeit müsse, da ich schon spät dran sei. Er schlägt die Tür des Küchenschranks, in den er gerade noch die säuberlich gebügelten Servietten einsortiert hat, zu und stürmt aus der Küche. Eine Minute später hör ich aus seinem Zimmer Beyoncé singen: Listen, I am alone at a crossroads. I'm not at home in my own home. And I've tried and tried to say what's on my mind. You should have known gefolgt von Beyoncé, die singt: If I were a boy, even just for a day, I'd roll outta bed in the mornin' and throw on what I wanted, then go schlussendlich gefolgt von dem Geräusch der Tür, die sich wieder öffnet und seinen Schritten, die lauter werden, bis er vor mir steht und sich mit feuchten Augen bei mir entschuldigt. Er wolle mich nicht drängen, mir seinen Wunsch nicht aufdrängen, er liebe mich einfach unglaublich und möchte mich glücklich machen. Wenn ich glücklicher sei ohne Kind, dann wäre das ok für ihn, es gebe ja auch noch andere Möglichkeiten. „Baby, das habe ich nicht gesagt, sei doch nicht gleich so hysterisch.“ Er habe Angst, mich zu verlieren, dass er mir einfach nichts zu bieten hätte. „Du kleines Dummerchen.“ Ich zieh ihn auf meinen Schoß: „Hör zu, ich glaube es würde dir gut tun, wenn du dich mal wieder mit Ralph und Johann treffen würdest. Macht euch doch mal wieder so einen richtig schönen Männerabend zusammen. Schaut einen lustigen Film oder geht in die Sauna. „Es würde dir gut tun, mal wieder was zu unternehmen“, sag ich ihm. Er stimmt mir zu, gibt mir Recht, und da er selbst nicht auf die Idee kommt, sich von meinem Schoß zu erheben, tätschle ich ihm zärtlich seinen knackigen Po, nenne ihn „meinen prächtigen Hengst“ und stehe auf. Dann nehme ich meine Arbeitstasche, zieh mir den Mantel über und verlasse die Wohnung.

T.L.


 
 
IMG_0141.JPG
 

Woche 02 – Arbeit

Um zur Arbeit zu kommen, suche ich mir jeden morgen eine Mitfahrgelegenheit. Heute sitzen neben der Fahrerin eine weitere Frau und ein Mann im Auto. Mir sind Fahrerinnen immer lieber, auch wenn ich den Bus nehme, schaue ich zunächst immer ob am Steuer ein Mann oder eine Frau sitzt. Nicht, dass ich bei Fahrern nicht einsteige, ich verhalte mich dann nur einfach vorsichtiger. Halte mich durchgängig fest und schaue die ganze Fahrt aus der Frontscheibe um den Verkehr zu beobachten. Frauen fahren einfach vor- und umsichtiger. Als ich einsteige begrüßen mich die anderen freundlich, die beiden Frauen kenn ich bereits, der Mann ist neu. Er sitzt auf der Rückbank neben mir, ich mustere ihn. Mir fallen kurze, dunkle Stoppeln im Gesicht auf und seine Augen, die durch die Brille unvorteilhaft vergrößert werden. Er bemerkt meinen Blick, sein Gesicht färbt sich rosa und beschämt nimmt er seine Brille ab. Jetzt gefällt er mir schon besser. Sein enges T-shirt lässt deutlich den Schalter des SLV (Samenleiterventils) erkennen. Unsere Blicke kreuzen sich, er hat gesehen, was ich gesehen habe und auf mein Zwinkern hin, macht sich ein Lächeln auf seinem Gesicht breit. Die restliche Fahrt über schaut er aus dem Fenster, was mir die Möglichkeit gibt, ihn ausführlicher zu betrachten. Er ist jung, sein volles, schwarzes Haar zieht sich weit in die Stirn, seine großen Hände sind grazil und lang. Seine Größe lässt sich im Sitzen schwer einschätzen, aber meine Erfahrung sagt mir, dass er kleiner, dafür etwas schwerer als der Durchschnittsmann ist. Auch seine Hose sitzt eng und knapp, so dass nichts meiner Fantasie überlassen wird. Dieser Mann, das sehe ich sofort, möchte den Frauen gefallen. Er ist eine 7/10. Kurz bevor wir in die Straße einbiegen, in der sich mein Atelier befindet, stecke ich ihm meine Visitenkarte mit den Worten „Ruf mich an, falls du mal Lust auf einen Drink hast!“, zu und zu den beiden Frauen gewandt sage ich: „Alles muss man selber machen!“ Die beiden anderen lachen zustimmend und sagen gleichzeitig: „Männer!“

Im Atelier stehe ich als Teil der Geschäftsleitung auf der zweithöchsten Stufe nach meiner Chefin Franziska. Wir duzen uns, kennen uns alle persönlich, das Miteinander ist verständnisvoll, freundschaftlich. Das Atelier ist, genau genommen, kein wirkliches Atelier, sondern vielmehr ein ganz gewöhnlicher mittelständiger Betrieb. Die Bezeichnung Atelier hat sich mit der Zeit etabliert, als Franziska, Chefin, die obere Etage öffnete, um der weiblichen Kreativität mehr Raum zu geben. Diese Räume sind ausschließlich den weiblichen Angestellten vorbehalten, was bei den Kollegen schon öfter Diskussionen hervorrief. Vorwürfe von Ungerechtigkeit und bevorzugter Behandlung von Frauen wurden laut. Auf den Hinweis, sie seien frei, den Betrieb jederzeit zu verlassen, verstummten diese jedoch wieder. 

Neben den Ateliers in der oberen Etage, gehören zum Betrieb ein Kindergarten, diverse Erholungsräume, Wellnessangebote und eine Sauna. In der Kantine bemühen sich mehrere Köche um unsere kulinarische Verwöhnung. Soweit unterscheidet sich der Betrieb nicht groß von Unternehmen ähnlicher Größe, allerdings ist unser Betrieb einer der ersten, der eine sogenannte Männer-Quote in das Firmenkonzept mit aufgenommen hat. Seitdem sitzen in den Führungspositionen 30% Männer, viel verändert hat sich dadurch nicht, nur die Beschwerden sind weniger geworden. Viele Männer fühlen sich, nach eigenen Angaben, auch einfach wohl in der passiven Rolle des Angestellten. Sie haben gar nicht die Ambition, Entscheidungen zu treffen, Überstunden zum Wohl der Firma oder Abstriche auf Kosten der Familie zu machen. Eine Studie ergab, dass 81% aller Männer in Deutschland zufrieden sind mit ihrer Rolle als Väter und Hausmänner, da sie somit aktiv an der Zukunft mitwirkten. 

Auf dem Weg zu meinem Schreibtisch, sehe ich, dass Johannas und Merediths Plätze frei sind, die beiden nehmen gerade ihre 3 Tage „Mens-Pause“ wie wir die 3 bezahlten Urlaubstage nennen, die jeder Angestellten zyklusbedingt zustehen. Dahinter sehe ich Linus, den 50-jährigen Sekretär meiner Chefin. Er kommt jeden Morgen um 7 Uhr 30 als Erster, nimmt Anrufe entgegen, sortiert Papier und kocht Kaffee für das gesamte Büro. Er ist die gute Seele des Betriebs, unser Fels in der Brandung, die Schulter zum Anlehnen und das offene Ohr für jeglichen Kummer. Als Sekretär der Chefin sitzt er an seinem Schreibtisch vor ihrem Büro. Das lichte aber gut gepflegte Haar nach hinten gekämmt, trägt er jeden Tag ein neues Hemd in einer anderen Farbe, gewagt kombiniert mit Hose und Sakko in der gleichen Farbe ein paar Nuancen heller. Als ich auf dem Weg zu Franziska an seinem Platz vorbei komme, streicht er sich gerade Pomade auf die Lippen. Als er den Kopf hebt und sieht, dass ich auf ihn zukomme, sagt er kichernd: “Ich bin süchtig nach dem Zeug!” Ich weiß von Gustav, meinem Assistenten, dass Linus nicht nur Lippenpomade sondern auch mich anhimmelt. Seiner Aussage nach, liebt er meine laute Stimme, die Härte in meinen Augen und die Selbstverständlichkeit, mit der ich mich durch einen Raum bewege. Natürlich wissen wir beide, dass ich unerreichbar für ihn bin, ein bisschen Flirten hat jedoch noch niemandem geschadet und so antworte ich: “Guten Morgen, meine Minzpraline” – heute trägt er grün in Pistazie – “immer schön fetten, wer weiß denn, wozu das noch gut sein wird.” Den Satz beende ich mit einem lauten Lachen, begleitet von einem Zwinkern. Er lacht ebenfalls, mit vorgehaltener Hand. Dann weist er darauf hin, dass Franzi noch nicht da sei, sie sei bei ihrer Ärztin und während er das sagt, wünsche ich, ich hätte nicht gefragt. Die Inkompetenz von herkömmlichen Ärztinnen sind Linus Lieblingsthema, über nichts kann er sich so auslassen wie über zu sterile Kliniken, unfreundliche Ärztinnenhelfer, übereilte Diagnosen und einseitige Diagnosen. Den Text, der jetzt kommt, kann ich bereits mitsprechen: Bereits seit über zehn Jahren vertraue er nur noch auf das, was seine Naturheilerin ihm rate. Sie wisse genau, was sein Körper braucht, sowohl psychisch als auch physisch habe sie noch nie falsch gelegen. Man könne den Körper nicht separat von den eigenen Gefühlen betrachten, alles hänge zusammen. Ganze Mittagspausen lang, habe ich Linus so schon reden gehört. Sein wasserfallartiges Gequassel wird urplötzlich von einem glockenhellen “Gustav!” unterbrochen, und als ich mich umdrehe, sehe ich, dass so eben mein Assistent eingetroffen ist. Linus erhebt sich schwungvoll, geht mit großen, schwingenden Schritten auf ihn zu, und nach einer innigen Umarmung verschwinden sie gemeinsam in der Kaffeeküche. Das letzte, was ich höre, bevor die Tür zufällt, ist wie Gustav sagt: “Ich bin Hals über Kopf verknallt!” In der nächsten halben Stunde werde ich wohl auf meinen Assistenten verzichten müssen. 

T.L.


 
 
IMG_0116.JPG
 

Woche 03 – Dating

Superdefense Hyaloronsäure Bleaching Anti-Falten-Creme mit CBD und Retinol – das ist das erste, was ich morgens lese, wenn ich ins Bad stolpere, um mit meiner Morgenroutine zu beginnen. Falten zu bekommen ist eine meiner größten Ängste. Mein Äußeres beschäftigt mich grundsätzlich sehr, denn meine Partnerin fürs Leben (die ich hoffentlich bald von mir überzeuge), wird mich nach meinem Aussehen beurteilen und dabei wertvolle erste Schlüsse ziehen. Deswegen möchte ich ihr einen Schritt voraus sein. Ich möchte natürlich aussehen, aber meine Falten nicht zeigen. Ich möchte mich zurechtmachen. Aber nur so weit, dass ich nicht aussehe wie zurechtgemacht. Eigentlich ganz logisch. Doch ich fürchte mich dennoch vor der Aussage: „Ich mag natürliche Männer“. Wenn die wüssten. Es ist nämlich so: Während Frauen im Alter immer schöner werden und sich um Falten und sonstige Alterserscheinungen überhaupt keine Gedanken machen müssen, möchten Männer stets darauf bedacht sein, ihr Aussehen jugendlich frisch zu halten. Daher ist es ratsam, hohe Summen für Pflegeprodukte auszugeben, sodass niemand unser biologisches Alter erkennt. Allein deshalb habe ich auch meine Superdefense Hyaloronsäure Bleaching Anti-Falten-Creme mit CBD und Retinol für 130€ noch nicht entsorgt. Trotz der Vermutung, dass meine – in letzter Zeit verstärkte – Migräne ihren Ursprung dort haben könnte. Naja, was tut man nicht alles, um endlich Mrs. Right zu finden. 

Beim Auftragen meines 150€ teuren Gesichts-Tonikums denke ich an die vier Dates von letzter Woche. Die Dating-Plattform „Crumble“ läuft für mich bis jetzt sehr gut. Auf den Fotos meines Profils setze ich meine männlichen Reize gezielt in Szene. Meine Karriere kann ich nicht erwähnen, sie wirkt oft abschreckend auf Frauen und gleichzeitig habe ich Angst vor Vorwürfen, ich hätte mich hochgeschlafen. Stattdessen bleiben mir nur meine naturgegebenen Reize (Körper ohne sichtbare Falten). Wenn ich diese dann geschickt einsetze, schaltet sich das Gehirn von Frauen automatisch aus. Zum Beispiel beim Anblick meiner Rehaugen oder der Lücke zwischen meinen Oberschenkeln. Auch ein gekonnter Augenaufschlag und Schlafzimmerblick beim ersten Treffen schaden natürlich nicht (Geheimtip!). In meiner Profil-Beschreibung weise ich aber selbstverständlich darauf hin, dass ich auf der Suche nach einer festen Bindung bin und die mögliche Elternzeit bereits mit meiner Arbeitgeberin abgesprochen ist. Ein bisschen unschlüssig bin ich mir noch bei diesem einen Strand-Foto. Dort posiere ich ganz natürlich oberkörperfrei in Badehose in diesem tollen türkis-blauen Wasser. Hier ist auch meine Körpergröße von 175,6 cm nicht sichtbar. Diese nimmt mich ziemlich mit. Keine Frau möchte einen Mann, der größer ist als sie, deshalb werde ich leider leider oft bereits zu Beginn aussortiert. Auf die meisten Frauen wirkt es nämlich unattraktiv, wenn ein Mann größer ist als sie. Das liegt am tief biologisch vererbten weiblichen Beschützerinneninstinkt. Habe manchmal auch das Gefühl, Frauen wollen einfach nur auf mich herabschauen. Naja. Im Bezug auf das Foto beschäftigt mich folgende Angst: Womöglich ist es zu freizügig. Gerade für’s Internet. Männliche Brustwarzen werden ja bekanntlich extrem sexualisiert und ich möchte in jedem Fall seriös wirken, um Mrs. Right zu finden. Auch meine Badehosen-Figur gefällt mir bei dem genannten Beispiel nur semi, aber ich finde die Landschaft einfach sehr schön. (Man würde schon wissen, dass alle normalen Menschen, LSF 75+ verwenden, wegen Falten?)

Jedenfalls hatte ich natürlich schon ein bisschen Angst vor dem ein oder anderen Clit-Pic, das mich unvorbereitet und aus mir unerklärlichen Gründen durch die Dating-Plattform erreichen könnte. Aber - no risk no fun. Im ersten Schritt schreiben Männer die Frauen an, damit fühle ich mich auf jeden Fall wohler - weniger Clit Pics und so. Klar, auch sehr ungewohnt aber irgendwie auch ein prickelnder Reiz, mal den ersten Schritt zu machen. Ich denke da nämlich eher outside the box: Echte Männer müssen nicht immer erobert werden, sie können auch mal den ersten Schritt machen. Toll oder? Ich arbeite übrigens in einem Atelier, es ist schon ein bisschen frauendominiert dort, ungleiche Bezahlung und sowas, aber ich möchte jetzt auch nicht den Drama-King raushängen lassen. Aufgeregt– oder noch schlimmer hysterisch – zu wirken, ist nämlich eine weitere riesen Angst von mir! Versuche deshalb immer mit aller Kraft, entspannt zu wirken. Als mir letzte Woche an einer Kreuzung eine Frau: „Ey du geiler Hengst, Bock zu Ficken?“ hinterherrief, habe ich mich deshalb einfach total über dieses originelle Kompliment gefreut und ihr direkt meine Telefonnummer gegeben. Ich war natürlich super nervös und hab direkt meine Telefonnummer vergessen. Sie hat nur leicht den Kopf geschüttelt: “Männer!”. So kam es zu Date Nummer 3 mit Jasmine. Ich habe eben ein bisschen übertrieben bei meiner Angabe zu „Crumble“, hatte Angst, dass jemand denkt, ich kriege keine ab.

Bei Jasmine habe ich aus irgendeinem Grund gedacht, sie könnte die Mutter meiner Kinder werden. Träume aber auch wirklich gerne und erzähle davon - dabei möchte ich auf keinen Fall verzweifelt wirken. Aber: diesmal könnte ich wirklich recht gehabt haben. Sie meinte mehrmals, ich sei ein echter Power-Mann, wie ich mir das mit der Arbeit und meiner Familie vorstelle. So einen zielstrebigen, selbstbewussten Mann, der Familie und Karriere vereinen wolle, habe sie noch nie getroffen. Bin total begeistert, dass das endlich mal eine Frau sieht. Ein Kondom zu benutzen war auch kein Problem für sie - deshalb bin ich mir ziemlich sicher: Sie ist die Richtige. Mir ist das nämlich immer wirklich unangenehm, da meine klare Meinung zu sagen. Dieses ganze Verhütungs-Thema könnte ja leicht spießig - oder noch schlimmer: unentspannt wirken. Aber Jasmine war total verständnisvoll. Ich bin wahrscheinlich verliebt. Wie jeder Mann habe natürlich auch ich einen Kinderwunsch, denn: Die Vaterrolle sehe ich als meine natürliche Bestimmung. Bei der Kinderplanung müssen wir uns jetzt allerdings sputen; sie hat vielleicht noch Zeit, aber ich bin schon 35, die Uhr tickt - gerade erst auf einem Plakat gelesen. Ernähre mich deswegen bereits seit sieben Jahren nach einem strengen Plan, einer Mischung aus traditioneller Chinesischer Medizin und Frutarierismus - speziell für den Mann ab 28. Habe lange gebraucht, um mich zwischen den ganzen Ratgebern zu entscheiden, aber bin jetzt sehr zufrieden. Mein Telefon vibriert. Ich bin kurz genervt, meine Me-Time darf eigentlich niemand unterbrechen (möchte noch meinen dritten Liv Strömquist-Comic zuende lesen und bin ganz gespannt auf Folge 11: “Relax-Nackenmassage für die Partnerin”). Es ist aber nur meine tägliche Erinnerung, die Pille zu nehmen. Nach einem ausführlichen Beratungsgespräch von zwei Minuten habe ich mich bewusst gegen andere eingreifende Verhütungsmethoden wie das Samenleiterventil entschieden, da meine Angst vor Unfruchtbarkeit einfach zu groß ist. Mir fehlte nur noch die richtige Partnerin. Aber das Problem ist ja jetzt zum Glück gelöst. Nachdem ich später die Fußleisten poliert habe, werde ich mal nach Ratgebern recherchieren. Ich meine, ein Freund hat mir letzte Woche von einem namens Was es heißt, Vater zu werden – Fortbildung für den modernen Mann erzählt. Das klingt nach mir.

P.R.


 
 
IMG_0152.JPG
 

Woche 04 – Politik

Mein Kronjuwel ist heute morgen ganz aus dem Häuschen. Gestern hat die Bundesregierung ein Gesetz erlassen, welches es alleinstehenden Männern erlaubt, mit einer Spender-Eizelle und dem Uterus für den Mann auch ohne eine Frau schwanger zu werden. Dies sei ein Riesenschritt in Richtung Gleichberechtigung des Mannes. Endlich seien Männer, zumindest in dieser Hinsicht, nicht mehr von Frauen abhängig. Auch viele Frauen begrüßen diese Entwicklung, befreit sie doch die Frau von ihrer evolutionär-bedingten Rolle der Gebärenden. Hinter diesem Gesetz stehen Bundeskanzler Torben Walters und seine orangene Partei. 

Als sich vor 3 Jahren abbildete, dass Torben Walters als erster Mann Bundeskanzler werden könnte, traf das unter den Bürgerinnen auf große Skepsis. Auch zwischen mir und meinem Göttergatten kam es damals zu vielen Diskussionen, die sich vor allem um Walters Position als Mann und weniger um seine Rolle als Politiker drehten. Zahlreiche Studien erschienen in der Öffentlichkeit, die zweifelsfrei belegten, dass es dem Mann an den entscheidenden Führungskompetenzen mangele. Wichtige Eigenschaften, wie die Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen, um Ecken zu schauen, zu kooperieren, im Team zu arbeiten und den Gesamtzusammenhang zu begreifen, sind – wie den Studien zu entnehmen war – dem Mann evolutionär bedingt, einfach nicht eigen. Die Frage, die damals alle Debatten und auch den Wahlkampf beherrschte, war: “Kann ein Mann politisch wirklich die gleiche Leistung erbringen wie eine Frau* oder würde der männliche Tunnelblick Deutschland um Jahre zurückwerfen? 

Der 55-jährige Politiker Torben Walters vereinte in sich alle Eigenschaften des modernen, unabhängigen Mannes. Im Alter von 26 Jahren hatte er sich als Mister Meck-Pomm gegen seine Mitstreiter durchgesetzt und war als erster Ostdeutscher Mister Germany geworden. In diesem Amt reiste er ein Jahr lang als funkelndes Paradebeispiel eines modernen Mannes neben der damaligen Kanzlerin zu politischen Veranstaltungen weltweit, war gern gesehener Gast auf zahlreichen Charity-Events und engagierte sich ehrenamtlich für Waisenkinder. Auf einer Reise durch Island lernte er damals die zukünftige Mutter seiner Kinder kennen. Er zog nach Reykjavík und übernahm mit großer Leidenschaft die Rolle des Hausmannes. Kurz nach der Geburt seines zweiten Sohnes, ließ seine Frau sich scheiden und folgte ihrer neuen Partnerin nach Honduras. Plötzlich komplett mittellos mit zwei Söhnen im Ausland, sah Walters sich dazu gezwungen, zurück nach Deutschland in das Haus seines Vaters zu ziehen. Auch Walters war allein von seinem Vater erzogen wurden. “Ich stamme aus einer Familie starker Männer und mir wurde von klein auf beigebracht, dass mir in dieser Welt als Mann nichts geschenkt wird. Das musste ich am eigenen Leib erfahren.”

Während sein Vater sich hingebungsvoll der Erziehung der Enkelkinder annahm, begann Walters ein Fernstudium in Sozialer Arbeit und arbeitete tagsüber als Kassierer an der Kasse eines Supermarktes. In dieser Zeit war es ihm unmöglich, eine neue Lebensgefährtin kennenzulernen, umso wichtiger sei es ihm gewesen, seine Söhne zu stolzen, unabhängigen Männern zu erziehen. Wie sich herausstellte, stand hinter Torben Walters politischer Karriere letztendlich doch eine Frau. In einem Interview gab er zu: “Ich war eigentlich nie sehr politikinteressiert. Das ist alles eher zufällig passiert, man könnte sagen, dank meiner Chefin. Auf einen meiner Vorträge über soziale Ungerechtigkeit, die ich wohl ein paarmal zu oft und zu laut vor der gesamten Belegschaft hielt, rief sie mir durch den Raum zu: „Walters, hören Sie auf, meine Mitarbeiterinnen von der Arbeit abzulenken und versuchen Sie’s mal in der Politik. Vielleicht interessiert dort jemand ihr Gequatsche!“ Daraufhin hab’ ich gedacht, warum denn eigentlich nicht und mir vorgenommen, es ihr, mir und allen Frauen* zu beweisen und bin den Orangenen beigetreten.” Aufgrund seiner für einen Mann ungewohnten Kompromisslosigkeit und einer ordentlichen Portion Charme hat er es schlussendlich bis ganz an die Spitze geschafft. 

Die Interviews mit Torben Walters, die nach seiner Kandidatur eine Zeit lang täglich im Fernsehen ausgestrahlt wurden, polarisierten unseren Freundeskreis. Das eine Lager bezeichnete ihn als Rabenvater, als “Sissy”, als karrieregeiler Schönling, der den Frauen* mit seinen großen sanften Augen den Kopf verdrehe und nur aufgrund seiner optischen Vorzüge so weit gekommen sei. Auf der anderen Seite sahen viele Männer (auch meiner, Linus und Gustav) in Torben Walters ein lang ersehntes Vorbild und einen Repräsentant des noch jungen Maskulinismus. Wütend kritisierten sie, wie Journalistinnen ihn in Interviews auf seine Rolle als Vater und als sexualisiertes Objekt beschränkten, während seine Konkurrentinnen als Politikerinnen ernst genommen und an ihrer politischen Agenda gemessen wurden. Als Ausdruck seiner uneingeschränkten Unterstützung trug Linus während des gesamten Wahlkampfes ausschließlich orange und ließ sich, nach Walters Vorbild, einen Schnurrbart wachsen, sodass er aufgrund des wenigen Haupthaares immer ein bisschen aussah wie eine Mischung aus buddhistischem Mönch und Prince in den 80ern. 

Auch ich habe im Endeffekt Torben Walters gewählt, weil es mir als interessantes Experiment erschien und er mit seinem Mut meinen Respekt verdient hatte. Außerdem war er die pure Augenweide und überhaupt; was kann ein Mann allein schon für Schaden anrichten, wenn seine Partei sonst zu über 70% aus Frauen* besteht. 

Die Medien nennen ihn liebevoll unseren “Vorzeige-Dad” und seitdem er 2019 das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt und die Arbeitswelt revolutioniert hat, leben wir in Deutschland im “Walterland”.

T.L.


 
 
Sex.jpg
 

Woche 05 – Sex, Part I

Unsere Beziehung ist verhältnismäßig traditionell. Ihm ist es unheimlich wichtig, immer wieder zu betonen, dass wir eine monogame Beziehung führen, er mir aber ab und zu mal meine Freiheiten gewährt. Und ich lasse ihn gern in dem Glauben, dass es seine freie Entscheidung ist, mir mehrere Sexies (Sexualpartner*innen)  zuzugestehen. Denn eigentlich wissen wir beide, dass er auf verlorenem Posten stünde, würde er mir dieses Zugeständnis nicht machen. Als “monogames” heterosexuelles Paar sind wir eher die Ausnahme und werden nicht selten dafür belächelt. Während wir Liebe, Sex und Wohnung miteinander teilen, leben unsere Freundinnen und Verwandten in Biandrien, polyamoren, -gamen, - Mingle-, Tingle-, LAT- und offenen Beziehungen. Jede mit Jeder, alle mit allen, Hauptsache keine Verpflichtungen und umso mehr Selbsterfüllung. Bei all den Argumenten, die für diese Beziehungsformate sprechen, hat unser Beziehungsarrangement einen entscheidenden Vorteil: guter Sex! Natürlich liebe ich ihn auch – und er mich. Er vergöttert mich, betet mich an, trägt mich auf seinen wunderschönen Händen, liest mir die Wünsche von den Lippen ab, ohne jemals eine Gegenleistung von mir zu erwarten. Er ist immer da. Für mich. 

Franzi, meine Chefin, zum Beispiel, hat viele Beziehungen zu vielen Personen jeglichen Geschlechts, weil sie die Abwechslung liebt. Was sie nicht liebt ist, dass sie sich nicht entscheiden kann und dann doch oft allein bleibt. Sie nennt das “overpossibled”. Was sie auch nicht mag: schlechten Sex. Aber wie sollen ihre Sexies auch wissen, was sie will, wenn sie sich alle drei Monate mal meldet, weil gerade niemand anderes Zeit hat. Vor einer Ewigkeit, lange bevor sie meine Chefin wurde, lernten wir uns auf einer Party kennen und landeten am Ende des Abends bei ihr. Ihr Schlafzimmer war mit Spiegeln verkleidet, sodass ich mich betrunken die ganze Zeit selber anstarrte und mich nur noch schwer auf sie konzentrieren konnte. Der Sex war, sagen wir, unbefriedigend, weil wir beide hauptsächlich an der eigenen statt an der Befriedigung der anderen interessiert waren und uns dadurch ständig in den Weg kamen. Das ganze Gefummel endete damit, dass wir es uns nebeneinander liegend, jede durch ihr eigenes Spiegelbild erregt, selbst besorgten. 

Wir wissen alle, wie der weibliche Orgasmus funktioniert. Jede Frau weiß genau, was sie wie braucht und möchte. Der rein körperliche Ablauf sexueller Handlungen jeglicher Art bis hin zum weiblichen Orgasmus wird ausreichend gelehrt. Was nicht gelehrt wird ist, wie geil es ist, wenn – in meinem Fall – der Mann, die gleiche Erfüllung beim Sex verspürt. Der männliche Orgasmus ist aber lange noch nicht so gut erforscht, wie der weibliche. Oft wird der Penis als reines Instrument zur Befriedigung der Frau oder zur Fortpflanzung gesehen. Apropos Penis: Erst neulich habe ich einen Beitrag gesehen, der mir sehr gefallen hat: Zwei Frauen stellten ihre Erfindung – die Penissocke – vor. Auf die Frage, wie diese Idee entstanden sei, antworteten die Erfinderinnen wie folgt: “Uns ist vermehrt unangenehm aufgefallen, dass Männer nach dem Pinkeln nasse Flecken auf der Hose hatten. Beim Abstreifen der Socke nimmt das saugfähige Material restliche Tropfen auf und verhindert somit hässliche Urinflecken. Des Weiteren muss ich nicht bei jedem Handschlag mit einem Mann überlegen, ob er eventuell gerade pinkeln war und sein Glied in der Hand hatte. “ Wie bin ich jetzt von der sexuellen Befriedigung meines Mannes auf dieses Thema gekommen? Ich glaube, was ich sagen will ist, dass ich es wirklich toll finde, wie sich immer mehr Frauen dem Mann und seinen Problemen annehmen. 

Vor einem halben Jahr saß ich bei meiner Zahnärztin im Warteraum und der Akku meines Handys war leer und obwohl ich mich lang sträubte, nahm ich letztendlich doch das einzige ausliegende Magazin in die Hand und begann darin zu blättern. Der Hauptartikel der Mens Health lautete: Wie Mann ihr sagt, was er wirklich will. “Lächerlich”, dachte ich “jede weiß, was Männer wollen. Die größte Befriedigung für Männer ist der Orgasmus der Frau.” Laut der Autorin Lena Krupp, die seit mehr als zehn Jahren in diesem Bereich geforscht und mehrere Publikationen veröffentlicht hatte, hätten Männer in letzter Zeit vermehrt über sexuelle Unzufriedenheit geklagt. Sie hätten es satt, immer nur die Frau zu erfüllen ohne jemals etwas zurück zu bekommen. “Sex ist doch ein Geben und Nehmen und macht keinen Spaß, wenn der Mann immer nur gibt und die Frau nimmt.”, wurde Simon von Schönblick, männliches Role Model und Maskulinist, zitiert. Krupp empfahl den Männern, den eigenen Körper erstmal selbst zu erforschen. “Finde zunächst selbst heraus, was du gern hast. Wie möchtest du angefasst werden und wo. Nimm dir Zeit, jede Stelle deines Körpers zu erkunden. Dein Körper ist dein Tempel, umarme ihn. Sag deiner Partnerin, was du dir von ihr wünschst. Keine Angst, Frauen stehen auf selbstbewusste Männer, die wissen, was sie wollen und auch mal die dominante Rolle übernehmen.” Mir kam das alles zunächst etwas esoterisch und überzogen vor, aber es ließ mich auch nicht ganz los, sodass ich am Abend meinen Schatz fragte, ob er zufrieden sei mit unserem Sex-Leben. Er wehrte kichernd ab: für ihn stehe meine Lust im Mittelpunkt. Aber als ich im Pyjama auf meinem Bett lag und las, klopfte er an meine Tür und bat, sich zu mir legen zu dürfen. Da lag er und ich wusste, dass ihn etwas beschäftigte, aber ich wollte lesen und hatte keine Lust auf das Gespräch. Doch wider meiner Erwartung begann er nicht zu sprechen, sondern nahm meine Hand und legte sie auf seinen erigierten Penis. An diesem Abend, was sag ich, in dieser Nacht, erforschten wir seinen Körper und er kam mehrmals vor mir. Seitdem versuche ich, in unserer sexuellen Beziehung mehr auf ihn einzugehen. Er dankt es mir, in dem er kein Drama mehr macht, wenn ich mal Sex mit anderen habe. “Ich habe kein Problem, wenn du Sex mit anderen hast. Solang ich der Einzige bin, mit dem du Liebe machst.”

T.L.


 
 
IMG_0036.jpg
IMG_0035.jpg
 

Woche 06 – Eltern

Mitten in der Nacht werde ich von lautem Scheppern geweckt. Wenn ich eins hasse, dann das. Es ist 3:30 Uhr. Es war 1:45 Uhr, als ich das letzte Mal auf mein Handy schaute. Effektiv habe ich also bisher anderthalb Stunden geschlafen. Wirklich schlecht gelaunt drehe ich mich auf die andere Seite und hoffe, dass mein Gehirn den kurzen Ärger nicht bemerkt und einfach schnell wieder in die Traumwelt wechselt. Fehlanzeige. Irgendwo in der Wohnung knallt eine Tür und ich höre ein lautes Fluchen aus der Küche. Jetzt auch wirklich genervt, reiß ich mir die Decke vom Körper, verlasse mein Bett und schlurfe (aber das eben sehr genervt) in die Küche. Diese ist hell erleuchtet und ich sehe meinen gerade nicht sehr Geliebten über eine große Kiste gebeugt. “Sag mal spinnst du, es ist halb vier in der Nacht.” Er schreckt auf: “Oh, hab ich dich geweckt? Das tut mir leid.” Tut’s ihm nicht, sein Gesicht zeigt alles, außer Reue. “Hallo? Ich war gerade eingeschlafen. Du weißt, dass ich morgen früh ein wichtiges Meeting habe und hast nichts besseres zu tun, als hier mitten in der Nacht in irgendwelchen Kisten zu wühlen?.” Er sagt nichts, räumt weiter sehr geräuschvoll in der Kiste rum. Nun wütend reiße ich ihm die Kiste aus den Händen, stelle sie in die Abstellkammer, mache das Licht aus, verlasse die Küche und will wieder zurück in mein Bett gehen, als das Licht erneut angeht, die Abstellkammer geöffnet wird und der Lärm von Neuem beginnt. Doch: leider braucht es nicht viel um mich zu provozieren – und so stürme ich in die Küche, packe ihn bei den Armen und brüll ihn an: “Was ist dein Scheiß Problem?” “Ah, schön, dass du fragst. Da du es ja scheinbar vergessen hast, erinner ich dich gern daran, dass meine Mutter morgen Geburtstag hat.” – Shit, Shit, shit, vergessen. – “Und da du mir hundert mal versichert hast, dass du dich um das Geschenk kümmerst und ich aber keins sehe, such ich jetzt eben irgendwas, damit wir morgen nicht mit leeren Händen dastehen.” Er ist aber auch dramatisch. Ich versichere ihm, dass ich den Geburtstag nicht vergessen habe, sondern einfach morgen nach der Arbeit eh einkaufen und dann im gleichen Zug ihren Lieblings-Scotch besorgen wollte. Ungläubig schaut er mich an und schüttelt den Kopf. “Das hast du also auch vergessen?” Ich krame tief – sehr tief – in meinem Gedächtnis, aber finde nichts.  “Hm?” “Dass wir ihr die Uhr schenken wollten?” Ja, das habe ich vergessen. Ich habe gerade auch einfach wichtigere Dinge im Kopf als den Geburtstag seiner Mutter. Das Problem ist nur, dass ich weiß, wie schwierig das Verhältnis zwischen ihm und seiner Mutter ist. 

Er musste als Kind sehr um die Aufmerksamkeit und den Respekt seiner Mutter kämpfen. Diese hatte sich immer eine Tochter gewünscht und war dementsprechend mit seiner Erziehung überfordert gewesen. Während sein Vater sich hauptsächlich ehrenamtlich für andere Menschen engagierte, hatte seine Mutter große Pläne für ihn. Und so sah sich der kleine Junge mit der Aufgabe vertraut, der Mutter die Tochter zu sein, die sie immer haben wollte. Ab dem zarten Alter von 3 Jahren schickte sie ihn zum Sprechtraining “Viele? Nein, ALLE erreichen”, brachte ihn zweimal wöchentlich zum “Früh-Übt-Sich”-Gründerinnen-Kurs und pushte ihn mit 10 Jahren, das Management des ansässigen Turnvereins zu übernehmen. Während andere Jungen hauptsächlich sich selbst überlassen waren, wurde er ganz im Sinne des weiblichen Konkurrenzkampfes erzogen.  Er tat alles, um die perfekte Tochter zu mimen und hatte doch nie so ganz das Gefühl, der Mutter gerecht werden zu können.  

Das führte in seiner Pubertät nicht selten zu knallenden Türen, dicken Tränen seiner- und Unverständnis mütterlicherseits. Sie habe doch immer nur das beste für ihn gewollt. Als er mit 16 seine erste Freundin hatte, packte er seine sieben Sachen, schwang sich hinter ihr aufs Motorrad und fuhr mit ihr in den Sonnenuntergang. Der schnelle Weg aus dem Elternhaus führte in eine Sackgasse, da ihn die fünf Jahre ältere Freundin 5 Monate später aus ihrer Wohnung schmiss, mit jemand anderem verschwand und sich nie wieder bei ihm meldete. Gebrochenen Herzens blieb ihm nichts anderes übrig, als erneut sein Kinderzimmer zu beziehen. Mit der Unterstützung seines Vaters, überzeugte er seine Mutter und begann eine Floristinnen-Ausbildung. 

Trotz allen Komplikationen und zwischenzeitlichen Zerwürfnissen blieb er Mamas Prinz und jede Frau, die ihr den Regentinnen-Platz im Leben ihres Sohnes versuchte streitig zu machen, verließ irgendwann gesenkten Hauptes das Schlachtfeld. 

Als wir uns kennen lernten und uns daraufhin regelmäßig dateten, war sie es – und nicht, wie in anderen Familien üblich, der besorgte Vater –  die alles über mich wissen wollte. Nicht selten kam es vor, dass sie genau dann anrief, wenn gerade unser Essen an den Tisch gebracht wurde oder wir das Kino verließen und so manch romantischer Moment endete abrupt mit einem “Ich muss da rangehen – Hallo Mama!”-Gesäusels ins Handy.  Vor meinem ersten Zusammentreffen mit meiner zukünftigen Schwiegermutter versicherte er mir – ohne, dass ich je danach gefragt hatte – mit einem nervösen Zucken um den Mund alle drei Minuten, dass sie mich sicherlich mögen würde. Daran hatte ich tatsächlich auch nie gezweifelt. Ich war eloquent, gebildet, an den richtigen Stellen ausgesprochen lustig und an Selbstbewusstsein hatte es mir auch noch nie gefehlt. Und tatsächlich: zwei Minuten nachdem wir ihre Diele betreten hatten, machte ich eine Bemerkung darüber, wie ich ihn den ganzen Tag vor unserer Wand hatte suchen müssen, da seine Hautfarbe besorgniserregend weiß vor Anspannung gewesen sei – woraufhin sie laut lachend “Männer” prustete, den Rotwein öffnete und mich am Arm ins Wohnzimmer zog. Während die Männer das Abendessen vorbereiteten, unterhielten wir uns über meinen Job, Politik und den Maskulinismus, den wir beide als eine kurze Hysterie und somit als harmlos befanden. 

Um das Gespräch zu beenden und endlich wieder ins Bett zu können, sage ich:  “Weißt du, Babe, was soll deine Mutter mit einer Uhr? Sie würde sich weitaus mehr über ihren Lieblings-Scotch freuen. Was habt ihr Männern immer mit euren Accessoires? Überflüssiger Schnick Schnack, der nur rum liegt. Sie hat ihr Handy, eine Uhr wäre nur Ballast. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche. Geh wieder schlafen. Du brauchst den Schlaf, sonst bist du morgen wieder den ganzen Tag so unausgeglichen”, und verlasse die Küche.

T.L.


 
 
IMG_3437.jpg
 

Woche 07 – Kindheit

Gerädert von dem unliebsamen Zwischenfall der letzten Nacht , betrat ich am nächsten Tag das Büro und steuerte, ohne auf das “Guten Morgen” meiner Kolleginnen zu reagieren, meinen Arbeitsplatz an. Gustav, mein Assistent, der mich mittlerweile sehr genau kennt, legt wortlos und mit gesenktem Blick die Agenda für den heutigen Tag auf meinen Tisch und verschwindet in Richtung Küche. Ich setze meine Kopfhörer auf und während mir die sonore, beruhigende Stimme von Daria Arun “Einatmen, 2, 3, 4, 5, Ausatmen 2, 3, 4, 5”, ins Ohr raunt, stellt mir Gustav eine dampfende Tasse schwarzen Kaffee auf den Tisch. Bis zur Mittagspause schaffe ich nicht viel mehr als ein- und auszuatmen und meinen Kaffee zu trinken, aber fühle mich immerhin etwas besser als ich den Pausenraum betrete, in dem meine Kolleginnen und unsere Sekretäre alle schon an einer langen Tafel sitzen. 

Es gibt Dinkel-Grießbrei mit einer tiefroten Sauce aus frischen Waldbeeren und einer Quarkcreme mit Kokos und Sanddorn. “Grießbrei,”, schwärmt Linus, “wie lang ich keinen Grießbrei mehr gegessen habe?! Ach, das erinnert mich immer so sehr an meine Kindheit.” Alle nicken zustimmend und ich, getriggert von dem Wort “Kindheit” beginne mitten in die Stille hinein, von der Beziehung meines Mannes zu seiner Mutter zu erzählen. Zehn Minuten später, ich habe meinen Grießbrei noch nicht angerührt, fragt Linus mich bestürzt: “Wie denn? Er hatte all diese Voraussetzungen und hat aufgegeben? Weiß er denn nicht, was für ein Glück er hatte, eine Mutter zu haben, die ihn so gefördert hat? Meine Mutter hat sich nur um meine Schwestern gekümmert.” “Du Armer, armer kleiner Linus. Ihr Männer seid wirklich sooo arm dran.”, fährt Franzi dazwischen. Dem hitzigen Wortwechsel, der sich daraufhin entfacht, entnehme ich Folgendes: 

Linus – und Gustav und scheinbar auch alle anderen Männer am Tisch – sind sich darüber einig, dass sie nie die gleichen Chancen hatten wie ihre Schwestern. Linus (eine ältere und zwei jüngere Schwestern) musste seine Wünsche immer hinten anstellen – “Das erklärt einiges!”, kommentiere ich und alle Kolleginnen lachen. Während seine Schwestern Sprachen lernten, Instrumente spielten oder Sportteams leiteten, erlaubte ihm seine Mutter, sich abends auf der Terrasse mit seinen Freunden zum Kartenspielen zu treffen. Während seine Schwestern unbedingt zur nächsten Freizeitaktivität gebracht werden mussten, brachte er den Müll raus, half dem Vater beim Einkauf und hoffte vergebens auf fünf Minuten Entscheidungshoheit in der allabendlichen Schlacht um die Programmauswahl. Drei gegen eins – Frauen gegen Männer, so, dass er sich meistens geschlagen gab und den Rückzug antrat. Nie, nie hätte seine Mutter Partei für ihn ergriffen. Sein Vater, ja, der vielleicht schon, aber nur, um durch einen finsteren Blick seiner Frau zum Schweigen gebracht zu werden. “Lass doch die Mädchen in Ruhe. Die waren den ganzen Tag unterwegs und sind so müde.” Gustavs Mutter hingegen, hatte nach ihm – dem dritten Sohn – schlichtweg das Interesse an ihren Kindern verloren. Konnte sie doch einfach nichts mit den Jungs anfangen. Sie kam spät abends nach der Arbeit nach Hause und verbrachte die Wochenenden mit “Freundinnen” in den Metropolen Europas. “Sie war meine Heldin und wenn sie mal da war, habe ich alles getan um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Zuhause saß sie dann stundenlang an ihrem Schreibtisch und tat wichtigere Dinge. Ich habe immer meinen Vater dafür verantwortlich gemacht, dass sie nicht bei uns sein wollte, und irgendwann habe ich die Schuld bei mir gesucht. Kein Wunder, dass ich nie die Richtige finde, bei dem weiblichen Vorbild.”

Die Entrüstung der weiblichen Anwesenden macht sich in lauten Worten kund: “Männer! Sobald ihr ein Problem habt, fällt euch nichts besseres ein, als die Ursache bei einer Frau zu suchen. Euch kann frau aber auch nicht gerecht werden. Eure armen Mütter, wenn die euch reden hören würden.” Sie selbst hätten sowas nie erlebt und auch ihre Brüder wären immer gleich und fair behandelt wurden. Mädchen und Jungs wären doch zweifelsohne längst gleichberechtigt. “Das ist leicht zu behaupten, aus der Sicht einer Tochter und Schwester.” Auf den Einwand meinerseits, dass ich sehr viele Freundinnen und Freunde hätte, die ihre Kinder ungeachtet des Geschlechts selbstbestimmt und frei großzögen, erwidert Linus nur knapp: “Achso, und wer erzieht da die Kinder? Die Frauen vielleicht?” Auf mein Schweigen setzte er noch nach: “Und mit wem unterhältst du dich? Mit den Vätern? Oder mit den Müttern?” Franzi bringt ihn zum Schweigen: “Schluss Linus, jetzt wirst du persönlich. Wir geben alle unser Bestes. Und irgendwer muss ja arbeiten gehen, damit die Kinder, die ihr Männer wollt, nicht verhungern und ein Dach über dem Kopf haben. Wir haben es ganz sicher auch nicht leicht. Wir geben euch eine Männerquote, gleiche Bezahlung, wir haben einen Bundes-KANZLER, unterstützen den Maskulinismus. Also echt, was wollt ihr denn noch?”

T.L.


 
 
part8.jpg
 

Woche 08 – Sex, Part II

Jedes Jahr ist Weihnachten und jedes Jahr am 23. Dezember schlägt diese Erkenntnis bei mir ein wie ein besonders bösartiger Blitz. So stürzte ich auch letztes Jahr einen Tag davor in die Stadt, mit dem ausweglosen Ziel, das perfekte Geschenk für meinen Schatz zu finden. Ist nicht leicht. Wer weiß denn schon, was Männer wollen. Diesen Ansprüchen gerecht zu werden, ist eine Sisyphos-Aufgabe. Nie ist er zufrieden mit dem, was ich ihm besorge. Zudem legen die immergleichen Weihnachts-Hits mit präziser Genauigkeit meine Nerven blank: Während rot gekleidete Weihnachtsmatroninnen mit ihren grünen Helfern zuckersüß lächelnd Zuckerstangen an Kinder verteilen, erledigen mindestens genauso viele, bitterböse dreinschauende Väter die letzten Besorgungen. 

Verzweifelt ließ ich meinen Blick über die Konsum-Landschaft schweifen: Bücher, Krawatten, Tischkicker, Dessous – Dessous?! Mein Blick blieb an einem riesen Banner, das über den Tischen mit überteuerten Unterhosen für den Mann hing, kleben. Der Blick der drei Männer ließ das Blut heiß durch meinen Körper pulsieren. Ihre Daumen waren lasziv in den Bund der schwarzen Satin Panties gesteckt. Ihre Köpfe gesenkt, warfen sie den Blick unter dunklen, markanten Augenbrauen – wobei sich die Stirn in diese fantastischen Falten, dieses ultimative Anzeichen für tiefgründige Sexiness, legt –  direkt ins Herz der verzweifelt Suchenden. Als ich wieder zu mir kam stand ich auf der Straße vor dem Kaufhaus und hielt in meiner rechten Hand eine Papiertüte mit Satin Dessous in fünf verschiedenen Farben und Formen. Ich kann mich bis heute nicht erinnern, was geschah. Jedenfalls lagen diese fünf feinen Stofffetzen einen Tag später unter dem leuchtenden Baum. Je näher der Zeitpunkt der Bescherung rückte, desto erregter wurde ich. In meinem Kopf malte ich mir aus, wie wir unglaublich heißen Sex haben würden, wenn ich ihn erst aus seinen Satin-Undies befreit hätte. 

Er bestand darauf – und das passte natürlich wunderbar in meinem Plan – dass ich meine drei (!) Geschenke zuerst auspackte. Ich bekam ein selbstgemachtes Parfum, ein Ticket für ein Konzert und er hatte sämtliche Fotos, die in unserer bisherigen Beziehung entstanden waren, in einem Fotoalbum gesammelt. Während er darauf bestand, jede einzelne Seite anzuschauen und in Erinnerungen zu schwelgen, wuchs meine Ungeduld langsam ins Unermessliche. Ihn und das Album auf später vertröstend, legt ich ihm mein Päckchen in den Schoß: “Mach auf!”

War es mein ungeduldiges Verhalten gewesen, dass seine Erwartungen geschürt hatte oder hatte er einfach von vornherein Erwartungen gehabt, die ich nicht erfüllen konnte?! Er betrachtete die Unterwäsche sehr lange, sehr schweigend. All meine Hoffnungen auf Sex zerflossen in seinem “Ah, Unterhosen.” und ich sah wie die Enttäuschung von seinem ganzen Körper Besitz ergriff. Ich konnte nichts mehr tun: “Die sind aus Satin. Du hast dich doch schon öfter beschwert, dass du keine schönen Dessous hast. Und außerdem siehst du darin bestimmt mega heiß aus.” Was mir von dem restlichen Abend in Erinnerung geblieben ist, ist ein großes Fragezeichen. Ich bin unser Gespräch immer und immer wieder durchgegangen und ich verstehe nicht, was ich falsch gemacht haben soll. Sätze wie: “Lieber hättest du mir nichts geschenkt. Das ist so banal, dann schenk mir das nächste Mal lieber eine Massage oder Aufmerksamkeit. Wie wäre es mal damit?”, “Bin ich nicht mehr für dich als ein Sexobjekt?” oder “Du denkst nur mit deinem Uterus” haben sich tief in mein Selbstverständnis als reflektierte Frau eingebrannt und heute ist nichts mehr wie mal es war. Seitdem bin ich verunsichert von Männern. Ich ertappe mich dabei, wie ich auf Arbeit minutenlang nichts anderes tue als die wenigen Männer anzustarren. Ich studiere sie, versuche zu erraten, was sie denken und wie sie fühlen. Doch dann kommt Luis zu mir und erklärt mir relativ deutlich, dass sich einige der Männer im Büro sexuell von mir belästigt fühlten. 

Seitdem senke ich beschämt den Blick- Ich senke den Blick, wenn auf der Straße Männer auf mich zukommen sehe. Ich senke den Blick, wenn ich mit Männern rede – obwohl, nein; wenn ich mit Männern rede, versuche ich meinen Blick über ihre Schulter irgendwohin in die Ferne zu richten, nicht, dass sie denken, mein Blick sei auf ihren Schritt gerichtet. Ich senke den Blick, wenn ich in der Öffentlichkeit an Fassaden, Litfaßsäulen, Bahnen, Häusern, Kiosken, Baustellen, Taxis,… sexualisierte Werbung auch nur vermute. Ich habe Nackenschmerzen, weil ich meinen Kopf quasi nicht mehr hebe. Tatsächlich war mir nie aufgefallen, dass mein Bild des Mannes, ein sehr einseitiges ist. In meiner Wahrnehmung waren Männer schön, nett anzuschauen, liebten es mit ihren männlichen Freunden bei Sekt und Krabben-Cocktail über Frauen zu sprechen und existierten auch sonst am liebsten für Frauen. Vor besagtem Weihnachten ging ich auch mal mit Kolleginnen in Etablissements in denen Männer in knappen Höschen, mit glitzernden Pasties auf den Nippeln, in Käfigen über unseren Tischen tanzten. In Lokale in denen Männer – verkleidet als Mediziner in weißen Kitteln, knallig orangene Müllmänner, ölig verschmierte Feuerwehrmänner oder als Chefköche in schwarz-weiß karierten Hosen – Getränke servierten und sich auszogen, wenn frau dafür zahlte. Dieses Leben habe ich aufgegeben. In meinem Internet-Feed bekomme ich jetzt keine Werbung für Männer-Dessous mehr angezeigt. Mein Internet-Feed ist neuerdings voll mit Anzeigen für Workshops wie “Weniger dominant und trotzdem eine Frau”, “Mansplaining – Jemand erkläre mir den Mann” oder “What a Man wants!”

T.L.